Home » Rhetorik Themen » Das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren

Das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren

Das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren

Rhetorik-Seminare
Rhetorik-Seminare

Die von Paul Watzlawick und Friedemann Schulz von Thun entwickelten Kommunikationsmodelle erfreuen sich in Rhetorik- oder Kommunikationsseminaren großer, leider unreflektierter Beliebtheit. Warum sich nicht wenige Vertreter der Sprechwissenschaft und der Rhetorik mit diesen Modellen schwertun und auch die Deutsche Rednerschule diese Modelle durchaus kritisch sieht, soll in diesem Beitrag dargelegt werden. Dabei geht es nicht in erster Linie um die Beurteilung fachlicher Richtigkeit der Modelle. Sondern um den durch sie ausgestellten Persilschein für fachfremdes, permanentes Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren …

 

Das Organonmodell nach Bühler (1934).
Abb.: Das Organonmodell nach Bühler (1934).

1934 entwickelte der Psychologe Karl Bühler (* 27. Mai 1879; † 24. Oktober 1963) eines der bekanntesten Kommunikationsmodelle (eigentlich: Semiotikmodelle) (vgl. Schreiber, 1990, S. 145 ) – so wie nebenstehend abgebildet. Er sah Sprache als Werkzeug an, das von Menschen für Mitteilungen benutzt wird. Zeichen (Z) waren für ihn Symbole für Gegenstände und Sachverhalte, Symptome für den Sender sowie Signale für den Empfänger, die drei Funktionen auf sich vereinen: die Darstellung von etwas, den Appell an jemanden und den Ausdruck des Redenden – im Sinne einer gewissen Selbstoffenbarung –, also der an das Sprechen gekoppelten „Innerlichkeit“, wie Bühler es beschrieb (vgl. Schreiber, 1990, S. 144). So weit, so gut: Bis heute hat das Modell seine Gültigkeit behalten. Auch deshalb, weil es im Grunde nichts anderes visualisiert als einfache rhetorische Erkenntnisse, die bereits den alten Griechen bekannt waren. In der Benennung des Modells durch Bühler als Organonmodell (οργανον = Werkzeug) kommt dies klar zum Ausdruck. Unübersichtlich wird die ganze Sache durch unzählige Modelle, die in den folgenden Jahrzehnten in unterschiedlichen Wissenschaftsdisziplinen wie Pilze aus dem Boden schossen: angefangen bei sogenannten Transportmodellen (als Analogien zur elektronischen Nachrichtenübermittlung) über semiotische Modelle bis hin zum Kommunikationsquadrat des Psychologen Friedemann Schulz von Thun (*6. August 1944) (vgl. Schulz von Thun, 1999, S. 14).

Das Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun (1999) – Persilschein für das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren.
Abb.: Das Kommunikationsquadrat nach Schulz von Thun (1999).

Dieses Kommunikationsquadrat, 1981 vorgestellt, ist, wie von Thun betont, ein „psychologisches Modell der zwischenmenschlichen Kommunikation“ (Schulz von Thun, 1999, S. 30).  Wobei er davon ausgeht, dass ein und dieselbe Nachricht stets viele Botschaften gleichzeitig enthalte (Schulz von Thun, 1999, S. 31). Ob eine Nachricht vom Empfänger im Sinne des Senders wahrgenommen wird, hängt ihm zufolge von „vier seelisch bedeutsamen Seiten“ (Schulz von Thun, 1999, S. 26) ab, die eine Nachricht aufweist. Das bedeutet, dass auf allen Seiten Missverständnisse auftreten können, weil Botschaften nicht gehört, verstanden oder akzeptiert werden. Das Modell kombiniert zwei Erklärungsansätze als Antwort auf die Frage, was Kommunikation ist: das Organonmodell Bühlers mit Ausführungen des Kommunikationswissenschaftlers Paul Watzlawick (* 25. Juli 1921; † 31. März 2007), der 1969 mit zwei Kollegen fünf pragmatische Axiome der Kommunikation beschrieb (vgl. Watzlawick/Beavin/Jackson, 2017):

  1. Man kann nicht nicht kommunizieren.
  2. Jede Kommunikation hat einen Inhalts- und einen Beziehungsaspekt.
  3. Kommunikation ist immer Ursache und Wirkung.
  4. Menschliche Kommunikation bedient sich analoger (das Gebiet der Beziehung) und digitaler (abstrakte Inhalte) Modalitäten.
  5. Kommunikation ist symmetrisch oder komplementär (sich ergänzend).

Aus sprechwissenschaftlicher und rhetorischer Sicht sind die ersten vier Aussagen kritisch zu hinterfragen: zunächst wegen ihres Allgemeingültigkeitsanspruchs, der in jedem der ersten vier Fälle zumindest leise bezweifelt werden kann – und von Watzlawick nie empirisch bewiesen wurde. Außerdem ergibt sich bei Watzlawick eine Reihe an Widersprüchen und unsauberen Definitionen (z. B. die diskussionswürdige synonyme Verwendung der Begriffe Handlung, Verhalten, Kommunikation und Interaktion), auf die hier aus Platzmangel nicht näher eingegangen werden kann. Trotz unsauberer Ausführungen und bis heute anhaltender Kritik aus der Rhetorik und Sprechwissenschaft (vgl. Kröninger, 2017, S. 27-30; vgl. Geißner, 1981, S. 20-26) sind Watzlawick und „seine“ Axiome bei Kommunikationstrainern anderer Couleur erstaunlich beliebt. So auch bei Schulz von Thun, der 1981 aus Ausführungen Bühlers und Watzlawicks sein eigenes Kommunikationsmodell entwickelte. Und in dieser Form handwerkliche Ungenauigkeiten eines Watzlawick fortschrieb. Insbesondere die Behauptung, jede Nachricht habe eine Beziehungsebene. Damit vermischt auch Schulz von Thun willkürlich zwei Untersuchungsgegenstände: das sprachliche Zeichen (Ebene des Sprachtheoretischen) mit menschlicher Disposition (Ebene des (Sozial-) Psychologischen). Da deren Ursprung ausschließlich bei Kommunizierenden liegen kann, erscheint es unlogisch, sie als Teil der Zeichen-/ Nachrichtencharakteristika anzusehen. Richtigerweise müsste die Beziehungsebene als äußerer Einflussfaktor beschrieben werden – nicht als Teil einer Nachricht.

Freies Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren als Ergebnis

Was aber haben abstrakte Kommunikationsmodelle mit alltäglichen (Sach-) Gesprächen oder mit Rhetorik-Seminaren zu tun? Die Namen Watzlawick und Schulz von Thun stehen – ob von ihnen beabsichtigt oder nicht – heutzutage quasi als Persilschein für freies Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren oder Teamentwicklungsmaßnahmen. Ihre Überzeugung, zwischenmenschliche Beziehungen dominierten den Inhaltsaspekt, führt in letzter Konsequenz zu permanenter psychologischer Analyse menschlichen Sprechens und Handelns. Das mag in Therapiegesprächen unter fachlicher Leitung von ausgebildeten Psychologen und Psychiatern hilfreich sein.

Von psychologischen Laien und Fachfremden (auf Trainerseite sehr, sehr häufig der Fall, auf Seminarteilnehmerseite die Regel) unreflektiert aufgenommen, in Seminaren und Unternehmen weitergetragen, führt die brachiale Vermengung von Psyche und Nachricht zwangsläufig zu groben Verkürzungen und schlechterdings zu leichtfertigen Pathologisierungen. Das Muster dafür ist schnell bei der Hand, ist „fachlich geprüft“ und vermeintlich stimmig: Im Falle einer Kommunikationsstörung hat diese mit hoher Wahrscheinlichkeit etwas mit der Beziehung zwischen Sender und Empfänger zu tun. Also: muss sie näher untersucht, geklärt – und im Zweifel „geheilt“ werden.

Unser Standpunkt, den wir als Diskussionsimpuls verstanden wissen wollen: Dieser Dreisatz ist mit verantwortlich dafür, dass im gesamten Bereich der Kommunikationstrainings, der Unternehmensberatung und Personalentwicklung mittlerweile ein unüberschaubarer Wust an pseudowissenschaftlichen Ansätzen, an aus der Psychotherapie stammenden Methoden und an esoterischen Ansichten einen Raum einnimmt, der ihm in keiner Weise zusteht. Zumal die meisten der „Kommunikationsheilmethoden“ von Trainern feilgeboten werden, die selbst aufgrund ihrer Ausbildung oder ihres Studiums (meist fernab der Psychologie) kaum in der Lage sind, Wissenschaftlichkeit oder (psychische) Auswirkungen von Methoden einzuschätzen. Ob nicht unumstrittene therapeutische Methoden wie Transaktionsanalyse oder Systemisches Aufstellen, ob wissenschaftlich sehr fragwürdige wie sie im NLP oder Positiven Denken verwendet werden – oder gar schamanische Praktiken und Engelsanbetungen: Munter werden landauf, landab auf mehr oder weniger seriöse Weise Jahr für Jahr Tausende Teams „entwickelt“ und Hunderttausende Menschen (bei Personalentwicklungsmaßnahmen ungefragt!) auf die Couch gelegt. Was wohl zwangsläufig dazu führt, dass mehr und mehr Menschen Schuldgefühle in sich tragen, weil sie im Sinne des Kommunikationsquadrats nicht „funktionieren“. Jenes Kommunikationsquadrates, auf das sich kurioserweise alle Schamanen, Therapeuten, Motivationscoaches und Lebensberater als kleinsten gemeinsamen Nenner einigen können – im Sinne einer, wie es üblicherweise heißt, „ganzheitlichen Problembetrachtung“. Oder im Sinne des laienhaften Psychologisierens im Rahmen von Rhetorik-Seminaren …

Ein Plädoyer gegen das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren

Das zieht die Frage nach sich, ob beispielsweise Burn-out-Symptome nicht auch ein Ergebnis permanenter psychologischer Ausleuchtung von Menschen darstellen. Nach dem Motto: Ist der (küchen-) psychologische Berater erst im Haus, wird er auch psychologische Problemfälle lokalisieren – da er ansonsten sein Geld nicht wert wäre. Aus diesen Überlegungen heraus plädieren wir dafür, Mitarbeitern und Kollegen anstatt traumatischer Erfahrungen in der Kindheit lieber grundsätzlich eine mindestens so ausgeprägte Verstehensbemühung und Vernunft zu unterstellen, wie man es sich selbst zugesteht. Um ihnen damit jene Mündigkeit zurückzugeben, die ihnen von Aufstellern, positiven Denkern und Therapeuten genommen wird. Das bedeutet im Umkehrschluss, dass Kommunikation von psychologischen Einflussfaktoren – zumindest im Rahmen von Sachgesprächen – streng getrennt werden sollte. Das bedeutet auch, dass sich Kommunikationswissenschaften, namentlich Sprechwissenschaftler und Rhetoriker automatisch aus dem Bereich der Personengespräche herauszuhalten und das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren zu unterbinden haben, wie bereits von Hellmut Geißner gefordert. Psychologie ist und bleibt – im Falle schwerer Störungen – das Gebiet anderer Fachleute. Auch wenn das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren als „Metakommunikation“ oder „Feedback“ getarnt wird. Denn gerade diese so harmlos wirkenden, omnipräsenten „Heilpraktiken“ sind allzu häufig nichts anderes als willkommene Maßnahmen der Infantilisierung oder der Pathologisierung durch Laien.

Fazit: Wie zum Beispiel eine Kontroverse ausgetragen wird, ist zwar auch abhängig von der Beziehung der Gesprächspartner untereinander. Die Historien von Gesprächsteilnehmern – deren Psyche und Beziehungen untereinander – gehören jedoch nicht therapiert. Sondern sollten als Ausgangsbasis für Gespräche akzeptiert werden – im Sinne vernunftorientierter Lösungen. Unabhängig von Gründen für Beziehungsstörungen sollte in Sachgesprächen immer die Wertschätzung anderer Meinungen dominieren. Nicht mehr und nicht weniger.

 

Quellenverzeichnis

Geißner, H. (1981): Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Königstein/Ts.: Scriptor.
Kröninger, K. (2017): Grundlagen der Wirtschafts- und Organisationsrhetorik/Kommunikationsmanagement (1. Aufl.). Koblenz: Zentrum für Fernstudien und universitäre Weiterbildung, Universität Koblenz-Landau
Schreiber, E. (1990): Repetitorium Kommunikationswissenschaft. München: Ölschläger.
Schulz von Thun, F. (199): Miteinander reden (1). Reinbek: Rowohlt.
Watzlawick, P. / Bevin, Janet H. / Jackson, Don D. (2017): Menschliche Kommunikation. Formen, Störungen, Paradoxien (13., unveränderte Auflage). Bern: Hogrefe

Wer ebenfalls das Psychologisieren im Rahmen von Rhetorik-Seminaren oder Teamentwicklungen als diskussionswürdig erachtet, dem sei u.a. empfohlen:

Geißner, H. (1981): Sprechwissenschaft. Theorie der mündlichen Kommunikation. Königstein/Ts.: Scriptor.
Lau, V. (2013): Schwarzbuch Personalentwicklung. Spinner in Nadelstreifen. Stuttgart: Steinbeis.
Ueding, G. (Hrsg.). Mitbegründet von Jens, W. (2005): „Historisches Wörterbuch der Rhetorik. Band 7: Pos – Rhet. Rhetorik, angewandte. II. Merkmale moderner Ausprägung. Berlin: Walter de Gruyter.